Klimaschutzszenarien
Aus energetischer Perspektive stellt nicht die Ressourcenfrage sondern der Klimaschutz das wichtigste und drängendste Nachhaltigkeitsfeld dar. Um das 2-Grad-Ziel einzuhalten müssen die globalen Treibhausgasemissionen bis 2050 um 50% gegenüber dem Stand 1990 reduziert werden. Bis 2010 sind sie jedoch nicht gesunken, sondern um gut 50% angestiegen.
Über einen Vergleich verschiedener Gerechtigkeitsmodelle, die eine Verteilung der mit dem 2-Grad-Ziel kompatiblen Klimagasemissionen auf verschiedene Länder ermöglichen, können sog. Klimaschutz-Korridore mit integrierten Zielfeldern definiert werden. Sie ermöglichen eine einfache Beurteilung von Langfristszenarien. In Europa dürfen demnach die zulässigen Pro-Kopf-Emissionen im Zeitfenster 2045 – 2055 maximal 0,5 – 1,5 Tonnen CO2-Äquivalente betragen; für den Sektor der privaten Haushalte liegt das Zielfenster zwischen 150 und 500 kg/Person, d.h. ein Viertel des Gesamtwertes. Diese Werte liegen deutlich unter den nationalen Klimaschutzzielen, z.B. für Deutschland.
Inzwischen liegen vier abgeschlossene Studien mit Klimaschutzszenarien für Deutschland, Vorarlberg und Luxemburg vor, sowie eine detailliertere Untersuchung für das Hansaviertel in Berlin. Alle Szenarienstudien sind methodisch vergleichbar, so dass sich aus der Auswertung der Ergebnisse allgemeine Grundtendenzen für wirksame Klimaschutzstrategien in Mitteleuropa herleiten lassen:
- Anstelle einer Erhöhung der Sanierungsrate kommt es darauf an, bei energetischen Modernisierung eine hohe Qualität (Güte: Passivhaus) anstelle mittlerer Qualitäten (Güte: Niedrigenergie, EnEV, OIB, Minergie) einzusetzen. Ansonsten entsteht ein „Dilemma der mittleren Qualität“, d.h. die mittleren Qualitäten verbleiben sehr lange Zeit im Bestand und lassen sich auch am Ende der Nutzungsdauer nicht mehr wirtschaftlich auf eine hohe Qualität verbessern.
- Die Effizienzstrategie setzt sich aus vielen kleinen Schritten in allen Handlungsfeldern (Raumwärme, Warmwasser, Kühlung, Hilfsstrom sowie sämtliche sonstigen Stromanwendungen) zusammen. Aktuell verfügbare Komponenten (z.B. Duschwasser-Wärmerückgewinnung, LED-Lampen, verbesserte Passivhausfenster) und künftige Fortschritte (z.B. vereinfachte Lüftungskonzepte, Direktverdampfer-Wärmepumpen, verbesserte Wechselrichter) sind beide strategisch wichtig, weil sie das künftige Effizienzniveau bilden.
- Langfristig ist ein Ausstieg aus der fossilen Strom- und Wärmeerzeugung unverzichtbar. Dies erfordert jedoch rechtzeitige Ausstiegsbeschlüsse, damit sich alle Akteure darauf vorbereiten können. Teilweise sind auch Übergangsregelungen notwendig, um Härtefälle zu vermeiden.
- Für eine wirtschaftliche Umsetzung des Klimaschutzes ist die Kopplungsstrategie entscheidend. Energetische Maßnahmen sollten i.d.R. in Verbindung mit ohnehin anstehenden Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen ausgeführt werden. Dann können die Rüst- und Planungskosten der Ohnehin-Maßnahmen eingespart werden und es sind nur die Differenzkosten im Vergleich zu einer mittleren Qualität aufzubringen.
- Das Kopplungsprinzip lässt sich jedoch oftmals nicht streng durchhalten. Daher plädieren wir für das Konzept der abgestimmten Maßnamenbündel (z.B. gleichzeitige Modernisierung von Außenwänden + Fenstern + Lüftung), um die bauphysikalisch schwierigen Übergangszustände und Störpotenziale zu vermeiden. Der Ausführungszeitpunkt kann dann pragmatisch festgelegt werden und die Zwischenzeit zur Rücklagenbildung genutzt werden.
- Besonders wichtig sind die UND-Strategien (die sich jeweils an sich ergebenden Gelegenheiten orientieren). Ein Gegeneinander Ausspielen (z.B. Dämmung versus KWK) in Form von ODER-Strategien ist hingegen nicht zielführend.
- Als Konsequenz ergibt sich, dass nicht jede Energieeinsparung automatisch ein Beitrag zum Klimaschutz darstellt. Entscheidend ist, die sich bietenden Gelegenheiten für den Einsatz hoher Qualitäten und den Ausbau eines erneuerbaren Energiesystems zu nutzen.
Zusammenfassung der Studien in Kurzform
In der Dissertation von Rainer Vallentin „Energieeffizienter Städtebau mit Passivhäusern – Begründung belastbarer Klimaschutzstandards im Wohnungsbau“ werden anhand von vier Hauptszenarien mögliche Handlungsoptionen in Bezug auf die baulichen und technischen Komponenten sowie die Versorgungslösungen im Zeitraum 1990 – 2060 durchgespielt.
Aus den Ergebnissen wurden sog. Klimaschutzstandards hergeleitet. Neben den Effizienzmaßnahmen im Neubau und energetischen Modernisierungen in der Güte der Passivhausqualität ist zusätzlich ein allmählicher Ausstieg aus der fossilen Strom- und Wärmeerzeugung notwendig. Im Kohortenmodell konnte nachgewiesen, dass diese Transformation im Zuge der ohnehin anstehenden Instandsetzungs- und Erneuerungsmaßnahmen durchgeführt werden kann.
Voraussetzung ist allerdings, dass die sich hier bietenden Gelegenheiten genutzt werden, um anstelle einer mittleren Qualität (z.B. Niedrigenergiekomponenten) eine hohe Qualität (Passivhauskomponenten, erneuerbare Energiesysteme) zum Einsatz zu bringen. Eine Kurzfassung mit den wichtigsten Ergebnissen ist im Download-Bereich verfügbar.
Die Studie „Energieperspektiven Hansaviertel 2010 – 2060 – Umsetzung der Klimaschutzstandards in einem Quartier mit hohem Denkmalbestand“ betrachtet detailliert ein Berliner Stadtviertel mit besonderer Berücksichtigung der Eingriffsempfindlichkeit der Gebäude der Interbau 1957 sowie weiterer Baudenkmale, die ca. 50 % des Gesamtbestandes des Hansaviertels ausmachen. Auch unter diesen besonderen Randbedingungen kommt es darauf an, bei den sich bietenden Gelegenheit – und sofern dies mit den Belangen des Erhalts der Denkmale vereinbar ist – hohe energetische Qualitäten einzusetzen.
Das Gebiet wird nahezu vollständig mit Fernwärme versorgt. Daher war eine Strategie zu entwickeln, welche Funktion die Berliner Heizkraftwerke in dem künftigen Energiesystem spielen sollen. Anstatt das Fernwärmesystem aufzugeben – wie dies von den Denkmalschutzbehörden vorgeschlagen wurde – konnte der Nachweis erbracht werden, dass die power-to-gas-Strategie, d.h. die künftige Rückverstromung von erneuerbar erzeugtem Methan mittels Kraft-Wärme-Kopplung, gerade in den Metropolen sinnvoll ist. Die dafür notwendige Infrastruktur ist bereits vorhanden (Gasnetz, Gaskavernen, Strom- und Fernwärmenetz). Neben dem Erhalt der Baudenkmale fügt sich auch dies in die übergeordnete Strategie der Bestandssicherung ein. Sie finden die Studie im Internet auf den Seiten des Senats Bundesland Berlin.
Die Studie „Energieperspektiven Vorarlberg 2010 – 2070“ untersucht, wie die langfristigen Ziele der Energieautonomie Vorarlbergs im Wohnungsbestand erreicht werden können. Auch hier ist es das Zusammenspiel von Effizienzstrategie (Wärmeschutz, hochwertige Fenster, Lüftungsanlagen mit Wärmerückgewinnung, Einsatz stromsparender Geräte) und einem allmählichen Ausstieg aus der fossilen Heizsystemen, der Weg, der zum Erfolg führt.
Die Untersuchung entstand gemeinsam und in enger Zusammenarbeit mit dem Energieinstitut Vorarlberg. Dieses hat im Vorfeld eine detaillierte Kostenoptimalitätsstudie veröffentlicht, in der verschiedene Bauweisen und Haustechniksysteme mit unterschiedlichen energetischen Qualitätsniveaus verglichen wurden. Aus 60.000 Varianten erweisen sich generell Gebäude mit Passivhaushülle aus Sicht der Lebenszykluskosten als kostenoptimale Lösung. Nur bei der Lüftung hat sich keine einheitliche Tendenz ergeben.
Die Ergebnisse der Studie zeigen, dass unter den besonderen Bedingungen Vorarlbergs (z.B. bereits heute hohe Anteile erneuerbaren Stroms) auch Lösungen mit Abluftanlagen aus Sicht des Klimaschutzes und der Zielerfüllung der Energieautonomie vertretbar sind, solange die Gebäude insgesamt die Güte von Passivhäusern aufweisen, ohne alle Kriterien im Einzelnen zu erfüllen.
Als neueste Studie entstand „Energieperspektiven Luxemburg 2010 – 2070“, ebenfalls in gemeinsamer Bearbeitung mit dem Energieinstitut Vorarlberg. In Luxemburg entspricht der gesetzliche Energiestandard von Neubauten seit 2017 in etwa dem Anforderungsniveau des Passivhausstandards. Dies ist ein entscheidender Schritt, weil Luxemburg bis 2050 in etwa eine Verdoppelung der Bevölkerung erwartet und bislang die Sanierungsrate bei unter 1 % liegt. Die energetische Modernisierung im Bestand stellt einen Schlüssel für das Erreichen der Effizienz- und Klimaschutzziele dar.
Es ist derzeit jedoch nicht absehbar, ob aufgrund des hohen jetzigen und künftig zu erwartenden Drucks auf dem Grundstücks- und Wohnungsmarktes entweder Abriss und Neubau in verdichteter Form das Geschehen dominieren wird oder ein Bestandserhalt mit begrenzten Erweiterungen und gleichzeitiger Ausweisung großer Neubaugebiete. Die Untersuchung zeigt auf, dass beide Varianten die Umsetzung einer erfolgreichen Klimaschutzstrategie nur dann zulassen, wenn sowohl im Neubau, als auch bei der Bestandsmodernisierung hohe energetische Qualitäten und gleichzeitig ein Ausstieg aus fossilen Heizsystemen bis spätestens 2050 – 2070 erfolgt.
Als Zusatzoption wurde ein starker Ausbau der PV-Erzeugung auf den Dächern in Verbindung mit ihrer Nutzung für Stromnutzungen, Wärmepumpen und Elektromobilität näher betrachtet. Als Ergebnis wurde festgestellt, dass sich nur in Verbindung mit einer sehr hohen Effizienz der Gebäude und deren Elektroausstattungen höhere Eigendeckungsgrade erzielen lassen.
Die Konsequenzen des Zwei-Grad-Ziels auf die energetischen Anforderungen an Wohngebäude
Anhand von szenariobasierten Untersuchungen werden Emissionspfade auf eine Übereinstimmung mit dem – mit Hilfe eines Vergleichs unterschiedlicher Verteilungsmodelle – entwickelten Zielfeld überprüft. Dadurch können Schlüsse auf eine mögliche Einhaltung des Zwei-Grad-Ziels, das in der Klimakonferenz in Paris 2015 festgesetzt wurde, gezogen werden.
Aktuelle Referenzszenarien verfehlen das Zielfeld bei weitem (grau), während manche das Zielfeld auf utopische Weise unterschreiten (grün). Obwohl sich der tatsächliche Emissionspfad (blau) momentan innerhalb des Zielkorridors befindet, sind zukünftige Klimaschutzstrategien notwendig, um das Zwei-Grad-Ziel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einhalten zu können.